Wir sollten als Hausaufgabe eine Kurzgeschichte mit dem Titel "Gegen den Wind" schreiben.
Das habe ich auch getan, mich würde es jetzt einmal interessieren, ob das als Kurzgeschichte ok ist, wie sie euch gefällt und ob ihr Verbesserungsvorschläge habt (was den Stil betrifft oder auch Inhalt, alles eben...)
Es wär toll, wenn sich die mal jemand durchlesen könnte!
Danke schonmal
Teil 1:
Gegen den Wind
Ich stehe auf dem Deich und schaue auf die stürmische See hinaus. Der Wind spielt mit meinen Haaren, bläst mir ins Gesicht, als wolle er mich warnen, vor dem, was kommt.
Ich warte auf ihn – es wird nicht mehr lange dauern und er wird den Deich betreten, seine Füße werden über die schmale Holztreppe schreiten klipp-klapp-klipp-klapp. Mit seinen blau-grauen Augen, die Farbe des Himmels, wird er die Landschaft absuchen, unseren Treffpunkt erkunden, zögerlich, unsicher, wie er ist.
Ich werde ihn dabei beobachten, so wie ich es immer getan habe, wissend gegen unwissend.
Ich werde auf der anderen Seite des Leuchtturms stehen, bis ich mich dazu überwinden kann, der Lüge zum Trotz, ihm vor die Augen zu treten. Seine Füße werden ihn zu der Bank vor dem Leuchtturm führen, er wird sich setzen und warten. Doch diejenige, auf die er wartet, wird nicht kommen. Denn es gibt sie nicht. Diejenige, auf die er wartet, die bin ich.
Am Anfang war noch alles ganz normal. Ich kam in die 12. Klasse, es hieß, wir würden nun doch einen neuen Lehrer in Deutsch bekommen. Das konnte mich nicht erschüttern, Deutsch war immer schon mein starkes Fach gewesen, egal, welchen Lehrer wir hatten. Der Neue machte einen sympathischen Eindruck. Im Gegensatz zu unseren restlichen Lehrer war er noch jung, ich schätzte ihn auf 25, später erfuhr ich, dass er da schon 29 war. Seine Erscheinung erinnerte mich an Skandinavien, seine Augen an einen tiefen Fjord in Norwegen und seine Stimme ließ mich an einen warmen Karmin denken – seltsam, aber solche Assoziationen hatte ich sonst nie.
Die anderen mochten ihn nicht. Nicht sofort, aber nach einiger Zeit, als wir merkten, dass er nicht für Ordnung in der Klasse sorgen konnte, da fanden sie ihn nur noch lächerlich.
Und ich – ich verstand ihn. Bemerkten denn die anderen seine Sensibilität nicht? Dass er jemand war, den man unterstützen musste, der dann aber, wenn er wusste, dass wir hinter ihm stehen, ebenso hinter uns stehen würde?
Ich mochte ihn – und doch war er anfangs einfach nur ein netter Lehrer für mich, dem ich seelische Unterstützung entgegen bringen wollte, aus meiner eigenen Sensibilität heraus.
Der November kam und mit ihm eine graue Wand aus Nebel, die mich vom Rest der Welt abzuschirmen schien, bis ich in ein tiefes, schwarzes Loch fiel.
Meine beste Freundin zog nach Bayern, einfach so, weil ihr Vater versetzt worden war. Ich hatte nicht viele Freunde in der Klasse, sie erschienen mir doch alle zu kindisch, gleichzeitig jedoch reifer als ich, doch diesen Widerspruch konnte ich nicht überwinden. Ich sprach zwar mal mit dem einen oder anderen, aber der erste Hauch Einsamkeit strich über meine Seele.
Zwei Wochen später wurde festgestellt, dass meine Mutter Krebs hat. Schwere Zeiten brachen für uns an; es wehte ein stürmischer Wind durch unsere Familie, wir waren nur noch Gestalten aus Luft, mitten im Strudel des Schicksals, verloren in Trauer, Hoffnung, Schmerzen, Sehnsucht und Verlust. Nein, wir gaben nicht auf. Wir klammerten uns an den Gedanken, dass meine Mutter wieder gesund werden würde. Und tatsächlich, der Krebs wurde besiegt. Doch meine Mutter war eine andere geworden. Ihre unerschütterliche Fröhlichkeit hatte sie verloren, ihre Unbeschwertheit, oft sah ich, wie sie im Wohnzimmer saß und weinte. Ich wollte sie trösten, doch ich konnte nicht. Mein Vater zog sich immer mehr zurück, verbrachte die meisten Wochenenden bei Freunden, vergrub sich in seiner Arbeit.
Anfangs versucht ich, mit meiner Mutter zu reden. Doch sie wies mich immer wieder ab.
Auch ich begann mit dem Rückzug – jedoch in mich selbst. Von meinen Freunden, die keine richtigen Freunde waren, wusste niemand über unsere familiäre Situation Bescheid. Die Einsamkeit hielt mich in ihren Klauen gefangen.
Im Deutschunterricht lasen wir ein Buch, in dem ein junges Mädchen an Krebs erkrankt. In der einen Stunde lasen wir gemeinsam einige Seiten laut. Und plötzlich holten mich meine Erinnerungen wieder ein. Ich konnte nicht mehr – ich brach in Tränen aus. Sie fragten mich, was los sei, ich bekam aber keinen Ton heraus.
Ich saß einfach auf meinem Platz und weinte. Es war das Ende der Stunde, sie gaben es auf, mich trösten zu wollen und verließen den Raum. Ich hatte meinen Kopf in meinem Armen vergraben, mein Schluchzen hallte durch den Raum, ich hörte mein eigenes Blut rauschen. So bemerkte ich erst nicht, wie mein Lehrer zu mir kam. Was er tat? Er nahm mich einfach nur in den Arm und sagte: „Weine ruhig, das hilft!“ Er erwartete nichts von mir. Und es half wirklich. Ich kuschelte mich an ihn und weinte. Weinte, weinte und weinte.
Später wusste ich nicht mehr, wann ich mich eigentlich genau in ihn verliebt hatte. War es in dieser Stunde gewesen? Oder an dem Tag im Mai, als es regnete und er durch den Regen rannte, während die Schüler neben ihm gemächlich mit Regenschirmen über den Schulhof schritten? Oder schon damals, als ich an den warmen Karmin gedacht hatte? Ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, dass ich mich plötzlich dabei ertappte, dass ich seinen Namen bei google in die Suchmaschine eingab. Ich fand heraus, dass er einmal bei einem Foto-Wettbewerb gewonnen hatte. Sein Bild hatte den Titel „Gegen den Wind, Wendekreis des Krebses“. Es zeigte eine Wiese voller Gräser, durch die der Wind pfiff. Rechts konnte man noch ein Stückchen Nordseestrand sehen: auf dem Sand lief ein Krebs, Richtung Wiese, unterwegs gegen den Wind. Man hatte nicht den Eindruck, dass der Krebs gegen die Windstärke ankämpfen musste, wie man es erwartet hätte. Der Krebs ging weiter, ohne jede Mühe, als wäre das Leben einfach und als könnte jeder seinen Weg gehen, seinen ganz eigenen Weg.
Ich schaute das Bild lange an. Es war, als hätte es eine Botschaft, deren Sinn ich noch nicht genau entschlüsseln konnte.
Erst später bemerkte ich, dass unter dem Foto seine Emailadresse angegeben war. Ich druckte mir die Seite aus und klebte sie in mein Tagebuch.
Die Sommerferien hatten begonnen. Ich fuhr alleine mit dem Zug zu meiner Tante, um einmal etwas anderes zu sehen... Besonders froh war ich nicht, dass Ferien waren, so würde ich ihn jetzt 6 Wochen nicht sehen. Im Zug sitzend dachte ich darüber nach, wie das weitergehen sollte, wie ich mit meinen Gefühlen umgehen sollte. Ich glaubte nicht, dass er mich irgendwie wahrnahm. Ja, im Unterricht sagte ich zwar jede Stunde etwas und was ich sagte, das war meistens gut, ja, er hatte mir 14 Punkte im Zeugnis gegeben, aber mich als Person, bemerkte er mich überhaupt? Ich wusste, dass er das nicht durfte, selbst wenn er wollte. Und doch wünschte ich es mir so sehr. So gerne wollte ich ihn richtig kennen lernen.
Plötzlich dachte ich an seine Emailadresse und das Foto. Da kam mir eine Idee: Wenn ich ihn schon nicht in echt kennen lernen konnte, dann wenigstens per Email! Nur – würde ich ihm als ich selbst schreiben, dann würde er mir natürlich nicht zurückschreiben, ich hatte ja auch gar keinen Grund, ihm zu schreiben – schon, aber den durfte er nicht wissen. Ich wollte doch nicht als pubertierendes Schulmädchen gelten, das sich in ihren Lehrer verliebt...
Meine Idee war eine andere. Nachdem ich den Entschluss gefasst hatte, ihm zu schreiben, hielt der Zug. In mein Abteil stieg ein Mann, der fast genauso aussah wie mein Lehrer. Ja, wisperte das Schicksal, ja, gehe gegen den Wind...
Nach meinem Besuch setzte ich meine Idee in die Tat um. Praktischerweise bestand seine Emailadresse aus seinem Vornamen und seinem Nachnamen. Ich richtete mir eine neue Emailadresse ein. Mein Name war ein anderer und mein neuer Nachname war derselbe des Lehrers, ein nicht unbedingt häufiger.
Der Betreff meiner Email lautete: „Papa, bist du es?“ und im Text spielte ich ein Mädchen, das auf der Suche nach ihrem Vater war. Ihre Eltern hätten sich scheiden lassen und ihr Vater wäre weggegangen, als sie erst 6 war, hätte sich nie wieder gemeldet. Sein leidenschaftliches Hobby wäre fotografieren gewesen und nun, Jahre später, wäre sie auf den Gedanken gekommen, einmal im Internet nach ihm zu suchen, wäre auf die Seite mit dem Fotografie-Wettbewerb gestoßen und hätte nun die Emailadresse herausgefunden.
Wollte wissen, ob er vielleicht ihr Vater sei....
Ich hoffte erst mal nur, er würde schreiben, wer er wirklich sei. Und dann – mal sehen. Jetzt im Nachhinein erscheint mir diese ganze Angelegenheit so durchsichtig, völlig abgedreht, zu skurril, dass daraus etwas werden könnte.
Aber er schrieb mir tatsächlich.